Licht und (Seh)Leistung
Licht und (Seh)Leistung
2010
Legenden gibt es, gegen die jegliche Information nicht ankommt. Eine davon, hier dargestellt, um das Weitere glaubhaft zu machen, ist die Mär, die Tastaturen von Computern hätten die seltsame Verteilung der Buchstaben, um der Häufigkeit der Buchstaben in der Sprache zu entsprechen. Das Gegenteil ist der Fall, die meistbenutzten Buchstaben sind dort angebracht, wo der Finger schlechter hinkommt.
Eine andere Legende besagt, man würde den Bedarf an Licht für die Arbeit so bestimmen, dass Menschen eine hohe Sehleistung erreichen, und dass sich diese hohe Sehleistung in einer hohen Arbeitsleistung nieder schlägt. Hört sich äußerst plausibel an. Seh´ ich nix, leiste ich nix. In Kontrast zu völliger Dunkelheit stimmt das auch. Aber nur da! Sonst würde man nicht immer 500 lesen, wenn es um Lux geht.
Es ist bis heute niemandem gelungen, aus der Sehleistung eine Arbeitsleistung abzuleiten. Wird vermutlich nie gelingen, haben doch die besten Maler der Weltgeschichte die teuersten Gemälde im Lichte von Funzeln oder Kerzen geschaffen. Man könnte argumentieren, das sei ja keine Industriearbeit. Stimmt! Wie sieht es damit aus?
Dort, wo es heute boomt in der Industrieproduktion, z.B. in China, Indien oder Korea, sitzen viele Arbeiter unter ein paar Lux, während in Amerika, einem Land, das die anderen um Exportbegrenzung (Richtung USA) und Importausweitung (Richtung aus den USA) bittet, die höchsten Werte für Beleuchtungsstärken offiziell empfohlen wurden und werden. Und dieses Land hatte bereits in den 1920ern ein hohes Bewusstsein in Sachen Licht und Leistung (Hawthorne Experimente).
Wie wurden dort in den USA die empfohlenen Beleuchtungsstärken festgelegt? Einer, der es genau kennen muss, weil er viele Jahre dort Professor für Lichttechnik gewesen ist, hat die folgenden Zahlen angegeben:
Jahr Sehaufgabe Bel. stärke (lx) Wirtschaftslage
1947 Normal 300 Wachstum mäßig
Schwierig 500
1954 Normal 300 Wachstum stark
Schwierig 500
1959 Normal 1000 Wachstum stark
Schwierig 2000
1966 Normal 1000 Wachstum stark
Schwierig 1500
1972 Normal 1000 Wachstum wenig
Schwierig 1500
1981 Normal 200-300-500 Nach Energiekrise
Schwierig 500-750-1000
1987 Normal 200-300-500 Nach Energiekrise
Schwierig 500-750-1000
1993 Normal 200-300-500 Umweltbewusstsein
Schwierig 500-750-1000
Von wegen Sehleistung! Man hat seine Vorstellungen an die Wirtschaftslage angepasst. Wenigstens was! In Europa hat man hingegen die Vorgaben für Beleuchtungsstärken massiv erhöht (man vergleiche DIN 5035 Teil 2 und DIN EN 12464 Teil 1). Hätte man wirklich die Sehleistung im Sinne gehabt, müsste man die Beleuchtungsstärken herabsetzen, weil erstens das Lesegut unvergleichlich besser geworden und zweitens das Arbeiten mit Bildschirm unter mehr Licht eher leidet.
Seit 2002 besitzt Europa eine Beleuchtungsnorm, die an vielen Arbeitsplätzen die Sehleistung mindert! An manchen sogar die Arbeit gefährdet (Warten mit analogen Anzeigen). Damit es den anderen Kontinenten nicht besser ergeht, hat man daraus gleich eine internationale Version gezimmert. Will ein Entwicklungsland mit Europa mitziehen, muss man dort die Kraftwerkskapazitäten vervielfachen, denn in solchen Ländern geht 80% des Stroms für die Lichterzeugung drauf.
Wer braucht wie viel Licht?
09.11.10
Alles, was nicht der Norm entspricht,
zwingt zum Nachdenken –
und das stört.
Else Pannek