Licht und Gesundheit
Licht und Gesundheit
2011
Man stelle sich vor, man soll genügend Farbe kaufen, um ein Brett zu streichen. Wonach müsste man zuerst fragen? Einfach: Nach der Größe des Bretts. Kleine Bretter, kleine Töpfe - große Bretter, große Töpfe… So einfach geht die Sache bei Beleuchtung nicht auf, obwohl auch da die Größe der zu beleuchtenden Fläche für die Menge des Lichts maßgeblich sein sollte, die ich einplanen soll. Das hatte ich zuerst bei Physik in der Schule gelernt, später beim Studium der Lichttechnik an der Uni. Verteile ich 1 Lumen auf 1 m2, ist Beleuchtungsstärke dort doppelt so hoch als wenn ich das Licht auf 2 m2 verteilen würde. Stimmt? Stimmt!
So weit, so gut. Wie groß ist aber die Fläche, die ich für einen Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz beleuchten muss? So wurde die Sache anno Tobak dargestellt:
(aus ZH 1/190)
Das war die Sicht einer BG. Sie entsprach in etwa dem, was der Arbeitsminister geschrieben hatte und die Gewerbeaufsicht an den Arbeitsplätzen überprüfen sollte: Die Vorgaben sollte man auf Einhaltung „am Ort der Tätigkeit während der Tätigkeit des Arbeitnehmers, z.B. bei Werkzeugmaschinen am eingespannten Werkstück am Ort der Bearbeitung; auf der Schreibtischplatte am Ort des Schreibens; auf dem gesamten Zeichenbrett in Zeichenstellung.“ prüfen. Ansonsten zeigt das Bild das, was für das Sehen bedeutsam ist: Aus der Leuchte kommt ein Lichtstrom, der das Objekt trifft. Dort entsteht eine Beleuchtungsstärke. Zusammen mit dem Reflexionsgrad entsteht eine Leuchtdichte. Und die sieht das Auge. Zwar passt der Aufzug des Betrachters nicht zu der Maschinenleuchte, er sieht eher aus wie ein Investmentbanker, der zwielichtige Dokumente sichtet. Aber sei´s drum. Viel schlimmer ist, dass die Beleuchtungsstärke nur dann stimmt, wenn er sich ein flaches Objekt anschaut wie der Investmentbanker seine Unterlagen. Bei räumlichen Objekten ist die Beleuchtungsstärke im Mittel halb so groß, bei der dargestellten Geometrie noch weniger, weil das Licht von hinten kommt.
Viel früher hatte die Werbeorganisation der Elektrowirtschaft viele Veröffentlichungen zum Guten Licht gemacht, aus denen man eine ähnliche Größe für die zu beleuchtende Fläche ableiten könnte:
Sagen wir mal… so DIN A3? (Original Fördergemeinschaft Gutes Licht, 1976)
Etwas reichlicher darf es nach DIN 5035-8 sein. Dort sind es 600 mm x 600 mm. Ich hatte die Zahl einst Pi x Daumen gerechnet für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Mitarbeiter zwei aufgeschlagene Ordner hintereinander legt und in beiden auch die Rückseiten der Blätter noch lesen will. Für mich war das das Höchste der Gefühle.
Ob das reicht? Nicht ganz, denn man will ja nicht nur das Sehobjekt beleuchten, sondern auch dessen Umgebung. Wie groß dürfte die sein? Wenn man ganz großzügig ist, beleuchtet man den ganzen Tisch. Was darüber hinaus geht, fällt eh auf den Teppich, vielmehr geht es daneben. Natürlich muss dieser Umgebungsbereich nicht taghell sein.
Was sagen uns aber die Normen dazu? Früher - bis 2002 - machte man sich die Aufgabe leicht. Man beleuchte die ganze Bude gleichmäßig, weil man vorher nie weiß, wo die Arbeitstische stehen werden. Nannte sich Allgemeinbeleuchtung. Zum Glück ist niemand auf die Idee gekommen, die Räume voll Stühle zu stellen, weil man nie weiß, wo einer sitzen wird. Dafür hatte einer die kleinen Rollen an den Stühlen erfunden und den Stuhlverkäufern den Umsatz verdorben. Nach 2002 änderte sich die Situation, weil man einen „Bereich der Sehaufgabe“ definierte (in DIN EN 12464-1). Dafür gab man Beleuchtungsstärkewerte an, und der angrenzende Bereich durfte dunkler sein (eigentlich müsste, weil überflüssiges Licht die sog. Umfeldblendung verursacht, viel Licht dient nicht immer dem Sehen).
Die Auguren der Norm haben sich nie getraut, den geheimnisvollen Bereich der Sehaufgabe anzugeben, der unmittelbare Umgebungsbereich sollte aber mindestens 0,5 m breit sein und sich im Gesichtsfeld befinden. Das letztere ist besonders zu betonen, obwohl niemand auf die Idee käme, Flächen zu beleuchten, die sich nicht im Gesichtsfeld befinden. Wirklich niemand?
Bevor ich den verrate, zunächst zu dem, was die Norm 12464-1 festgelegt hat. Da die Norm dies nicht verraten wollte, musste der ZVEI (Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie) erraten, wie diese Flächen aussehen. Und das Ergebnis sah so aus:
(Das Bild ist ein Ausschnitt aus ZVEI Leitfaden zur DIN EN 12464-1, April 2005, die Breite des Umgebungsbereichs habe ich selbst eingetragen, das Bild selbst kann man in der Norm nicht finden)
Der Bereich der Sehaufgabe ist da schnell gewachsen auf ca. 2 m x 2 m. Die unmittelbare Umgebung sieht zwar klein aus. Man kann aber selbst ausrechnen, dass sie nicht allzu klein ist.
Nun wurde zum Glück DIN EN 12464-1 überarbeitet, der Mangel an Klarheit behoben. Jetzt kann man in der Norm lesen, wie diese Bereiche aussehen:
Der Bereich der Sehaufgabe ist hier nicht genau angegeben, man kann ihn auf mehr als 1 m2 schätzen. Der Umgebungsbereich der mindestens 50 cm breit sein muss, dürfte um die 2 - 4 m2 messen. Jetzt kommt noch ein Hintergrundbereich, der mindestens 3 m breit sein muss. Auf jeder Seite - wie früher?
Na schön. Wo befindet sich der erleuchtete Mitarbeiter? Bei üblichen Arbeitsverhältnissen müsste er ganz in der Nähe von Fläche 1 sein, weil man bei Beleuchtungsstärken, so wie die Norm verlangt, Nahsehen voraussetzen muss. Folgerichtig muss also ein riesiges Areal hinter dem Mitarbeiter beleuchtet werden. Fragt sich wozu.
Ich wünsche mir die guten alten Zeiten zurück. Da standen Arbeiter in Schlips und Kragen an der Werkbank (ganz oben) oder riskierten ihr Leben auf vierbeinigen Drehstühlen (darunter). Jetzt muss man für sie nicht nur das Gesichtsfeld beleuchten, sondern auch Bereiche, von denen aus man nur die Heckansicht der Helden der Arbeit bestaunen darf. Wer weiß, vielleicht lässt sich eine Sehaufgabe finden, für die diese Beleuchtung passt.
Offensichtlich passt sie aber nicht mehr dem Arbeitsschutz. Er hat letzten Monat eine ASR veröffentlicht, nach der man noch viel größere Flächen beleuchten müsste, denn ihre Angaben gelten für den „Bereich des Arbeitsplatzes“. Was das ist, verrät die Regel (anders als die Normen): „Der „Bereich des Arbeitsplatzes“ setzt sich zusammen aus den Arbeitsflächen, den Bewegungsflächen und allen dem unmittelbaren Fortgang der Arbeit dienenden Stellflächen.“ Wo der Lichtplaner all diese Flächen zusammen suchen soll, wird ihm in Form des beispielhaften Arbeitsplatzes dargestellt:
Die Kreuze im Bild markieren die Fläche, über die man die Beleuchtungsstärke bestimmt. Man merke: Ob einer an seinem Arbeitsplatz (links im Bilde) gut sehen kann, richtet sich nicht nur mit danach, wie viel Licht hinter ihn fällt, sondern auch von dem Licht auf dem Besucherstuhl (rechts im Bild). Besucherstuhl? Musste der Arbeitnehmer im Bild ganz oben einsam an der Werkbank stehen, residiert er jetzt in einem reichlich bemessenen Raum (Größe bitte selbst bestimmen anhand der Breite der Bewegungsfläche hinter dem Tisch = 100 cm und dann mit dem Arbeitsraum des eigenen Abteilungsleiters vergleichen). Sein Bereich der Sehaufgabe ist so reichlich bemessen, dass auch der Bildschirm beleuchtet werden muss. Man wird schon wissen, warum er beleuchtet werden muss. Vorschrift ist Vorschrift!
Diese Vorstellungen sind realistisch - realistisch wie die Aussicht, dass sich jeder deutsche Arbeitnehmer in einem Raum mit vier Fenstern entfalten darf.
Selbstwachsende Flächen
26.07.11
Nichts wird so leicht für Übertreibung gehalten, wie die Schilderung der nackten Wahrheit.
Joseph Conrad,
englischer Kapitän und Erzähler
Er muss es wissen.
d. Blog.